Eine Geschichte mit Bart(h)

 

 

Es gibt Dinge, die passen im ersten Moment so gar nicht zusammen. Wie kann es sein, dass im Land der Sparer und der „Geiz-ist-geil“-Erfinder mehr Sekt und Champagner getrunken wird als anderswo auf der Welt? Merkwürdig.

Der Deutsche liebt den Prickler. Über Champagner wird seit Jahrhunderten geredet und geschwärmt. Er ist der Trank der Könige und der König der Getränke. Sekt hingegen ist ein kleineres und deutsches Thema, doch mit einer enorm langen Tradition. Wenngleich die Winzersekte – um die es hier geht – noch recht jung sind. Das liegt schlicht an der Tatsache, dass das Sektmonopol bis in die 1970er Jahre dem Winzer eine eigene Versektung nicht gestattete. Das durften nur bestimmte Kellereien. Umso eindrucksvoller ist das, was sich seither in der deutschen Sektwelt tut. In der Winzersekt-Welt wohlgemerkt. Alles andere ist ein eher kniffliges Kapitel, auf das sich allerdings ein kurzer Blick durchaus lohnt.

Der Sektpreis war mehr oder minder vorgeschrieben. Man nannte das „die Preisbindung der zweiten Hand“. Der Handel verpflichtete sich vertraglich gegenüber dem Hersteller von Markenartikeln, einen festgesetzten Preis beim Weiterverkauf einzuhalten. Beim Sekt lag dieser Preis bis Ende der Sechziger bei knapp zehn D-Mark – also um die fünf Euro. Dann wurde diese Preisbindung aufgehoben. Heute, ein halbes Jahrhundert später, sind wir im Flächengeschäft weit von diesem Preis entfernt. Lichtjahre quasi. Nur ganz wenige der großen Sekte erzielen noch hohe Preise. Absurd. Ich weiß, ehrlich gesagt, gar nicht, ob es noch ein Produkt gibt, bei dem der Preis in den letzten Jahrzehnten derartig verfallen ist. Für 2,49 Euro gibt es eine Flasche Sekt im Regal des Supermarkts. Es versteht sich von selbst, dass dieses Getränk nichts mit großartigen Sekten oder gar mit Champagner zu tun hat.

Völlig anders ist die Entwicklung in Sachen Winzersekt. Hatte man eine ganze Zeit lang Sekt einfach nur als ergänzendes Produkt im Programm, gibt es heute mehr und mehr Sekt-Spezialisten. Manch einer von ihnen macht nur noch Sekt und gar keinen Stillwein mehr. Diese Spezialisten haben sich zu einer Art Elite in Sachen Schaumwein entwickelt, die stolz und selbstbewusst Sekte von herausragender Qualität erzeugt. An dieser Stelle kommt in der Regel der omnipräsente Champagnervergleich. Der geht ungefähr so: Es gibt so viele deutsche Sekte, die wesentlich besser sind als manche Champagner. Was soll ich also mit Champagner? Das ist, mit Verlaub, Quatsch. Champagner ist Champagner, und Sekt ist Sekt. Der Vergleich hinkt auf allen Ebenen. Champagner ist eines der größten und beliebtesten Luxusprodukte der Welt. Die Rolle, die deutscher Sekt außerhalb Deutschlands spielt, ist selbst mit dem allergrößten Wohlwollen kaum wahrnehmbar. Im Übrigen gibt es unfassbar viele herausragende Champagner. Nämlich gerade dann, wenn es um Winzer-Champagner geht. Der wichtigste und nachhaltigste Unterschied ist allerdings der Preis. Ein Champagner ist für 2,49 Euro nicht zu haben. Und damit ist eigentlich auch schon alles gesagt.

Einige Pioniere in Sachen Winzersekt sind hauptsächlich in den Regionen rund um Mainz zu finden – was nicht verwunderlich ist. Zum einen ist Mainz eine Art Hauptstadt des Weins, und zum anderen spielt in dieser Region Sekt historisch eine große Rolle. Viele der großen Sektkellereien saßen und sitzen hier. Einen ganz besonderen Rang hat der Rheingauer Winzersekt inne. Einer der großen Pioniere der Region war der 2013 viel zu früh verstorbene Sektwinzer Helmut Solter aus Rüdesheim. Ende der achtziger Jahre gründete er sein Sekthaus in Rüdesheim und führte etwas ein, das so einfach wie gut war: die Lohnversektung. Das bedeutet, dass der Winzer seinen Grundwein zum Versekter bringt, der füllt den Wein in Flaschen und versektet ihn. Diese wirkungsvolle Idee hat ganz sicher auch zu einem Boom beim Winzersekt geführt. Es war und ist eine äußerst praktische Angelegenheit – insbesondere für den Winzer –, die heute mehr oder minder Standard ist. Noch viel wichtiger aber war die Tatsache, dass Sekt auf einmal auch trocken sein konnte. Nicht so „trocken“, wie es heutzutage auf dem Etikett steht und merkwürdigerweise süß bedeutet. Sekte ohne Restzucker wurden produziert. Auch hier war Helmut Solter wegweisend. Heute führt seine Frau Verena das Sekthaus gemeinsam mit einem hochmotovierten Team weiter. Die ersten Sekte zeigen deutlich Helmut Solters Vermächtnis. Was er hinterlassen hat, ist großartig, wie beispielsweise der 2009er Rüdesheim Berg Roseneck Riesling Reserve brut. Das Roseneck mit seinen immerwährenden, leicht flintigen und überbordend tropisch anmutenden Fruchtaromen brüllt förmlich aus dem Glas – untermauert von einer eleganten Säure und einem äußerst feinen Mousseux (90 Punkte).

Ebenfalls im Rheingau ansässig und unbedingt erwähnenswert ist die Sektkellerei Bardong. Es ist erstaunlich, wie wenig bekannt Norbert Bardong und sein 1984 gegründetes Sekthaus in Geisenheim ist, obwohl er doch konstant Sekte auf höchstem Niveau erzeugt. Auch er war einer der Ersten, die ausschließlich auf Schaumwein setzten. Jeder Sekt liegt hier mindestens sechsunddreißig Monate auf der Hefe, und die Vielfalt des Angebots reicht von Chardonnay über Riesling bis zu Spätburgundersekt. Der 2006er Chardonnay brut ist ein Erdbeerbömbchen. Mehr eingekocht, an Erdbeermarmelade erinnernd. Im Mund wirkt er unglaublich leicht, frisch und animierend, was auch an der genialen Kohlensäure liegt. Ein Feuerwerk der Frische (87 Punkte).

Mit dem Rieslingsekt Geheimrat „J“ kommt ein weiterer wegweisender Schaumwein aus dem Rheingau. Seit 1987 gehört dieser Sekt vom Weingut Geheimrat J. Wegeler in Oestrich Jahr für Jahr zu den besten Vertretern seiner Kategorie. Wie hoch hier der qualitative Anspruch ist, zeigt allein die Tatsache, dass der 2004er zehn(!) Jahre auf der Hefe lag. Wer gereiften Wein mag, wird diesen Sekt lieben. Etwas Birne, etwas Holz und Aprikose, getragen von der Hefe. Ein hochseriöser Sekt mit enormem Trinkfluss, der ganz sicher noch viele Jahre auf der Flasche reifen kann (91 Punkte).

Zweifelsohne ist Volker Raumland aus Rheinhessen der Grandseigneur des deutschen Winzersekts. Seine Schaumweine gehören regelmäßig zum Besten, was das Land zu bieten hat. Kein Zweiter versteht es, so filigrane und zugleich ausdrucksstarke Sekte zu produzieren. An seinem 2008er Triumvirat kommt man nicht vorbei. Viel Cassis, dunkle Waldfrüchte – überhaupt äußerst fruchtig im Duft. Der Geschmack ist klar, schlank und fokussiert – geradezu brillant (87 Punkte).

Wie ein Paukenschlag erschien das Engagement von Mathieu Kauffmann im Weingut Reichsrat von Buhl. Freiwillig kam der Kellermeister eines der angesehensten Champagnerhäuser nach Deutschland – in die Pfalz –, um dort Sekt zu produzieren. Das wäre noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen. Seine Erstlingswerke sind durch die Bank eindrucksvoll geraten. Ebenso wie das Marketing um die Sekte herum. Hier ist noch einiges zu erwarten.

11196344_10153633397856992_3806448789577652491_nEin ganz großes Talent, vielleicht sogar eines der größten in Sachen Sekt, wächst unterdessen im Rheingau heran. Mark Barth (31) vom Wein- und Sektgut Barth in Hattenheim dreht unaufhörlich an der Qualitätsschraube und arbeitet sich so Stück für Stück in den Olymp. Sein Schwiegervater Norbert Barth hat schon in den Neunzigern mit der Sektproduktion begonnen. Ihm war der Gedanke, den eigenen Wein zum Versekten aus dem Haus zu geben, nicht sympathisch, und er beschloss, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Mark, der mit der Tochter des Hauses seit dem Jahr 2000 liiert ist, hat sich schon früh während seines Önologie-Studiums auf das Sektthema konzentriert. Der Geisenheim-Absolvent, der  das Weingut im Jahr 2013 komplett auf Öko umstellte, hat seine ganz eigene Vorstellung von einem großen Sekt: „Sekt ist dann groß, wenn er mehrere Dimensionen hat, die für sich allein einzigartig und im Zusammenspiel groß sind. Ein großer Sekt muss sein Herkunft widerspiegeln. Er darf nicht gesichtslos sein. Dazu gehört auch zwingend die Erkennbarkeit der Rebsorte. Frische durch frühe Lese und hohe Säure sind nett, aber nicht alles. Harmonisch muss er sein, ausgewogen und reintönig. Das lange Hefelager und die Kohlensäure müssen konservieren und unterstützen zugleich. Und im übrigen kann großer Sekt nur aus großem Wein gemacht werden.“ Eine klare Ansage.

Seine Basis-Sekte sind frisch und fruchtig, leicht zu trinken und dennoch alles andere als belanglos. Sie sind wahrhaftig animierend. Bestes Beispiel ist der Riesling extra brut, mit nur vier Gramm Zucker. Ein sehr klarer, frischer und Freude bereitender Sekt mit einer feinen Perlage (85 Punkte). Der Pinot Noir brut war als Grundwein neun Monate im Holzfass und danach als Sekt drei Jahre auf der Hefe in der Flasche. Denkt man sich die Kohlensäure weg, hat man tatsächlich das Gefühl, einen roten Pinot im Glas zu haben. Leider sind die meisten roten Sekte grauenvoll. Dieser nicht. Er ist ein seriöser, extrem eleganter Sekt, mit einem Hauch weicher und reifer Tannine und garantiertem Trinkfluss. Die Kohlensäure ist gewaltig – er schäumt deutlich mehr als ein weißer Sekt. Der Wachmacher ist perfekt als Begleiter zum Dessert (89 Punkte).

Der Ultra Pinot brut nature, ein Blanc de Noir, ist ein wahres Meisterwerk. Etwas Brioche, ein Hauch von Malz, Biskuit und Waffeln. Dazu eine fantastische Cremigkeit und Eleganz, die nicht zuletzt von der, wiederum sehr feinen, Perlage kommt. Unglaublich lang und fein ist er, dabei mit 25 Euro fast schon unanständig preiswert (91 Punkte).

10629338_10153234296481992_3015451586537305137_oAn der Spitze des Barthschen Sortiments steht mit dem Primus ein ganz besonderer Schaumwein. Seit dem Jahrgang 2007 wird ein Teil des besten trocknen Weins versektet – eine Art Großes-Gewächs-Sekt. Das ist sehr ungewöhnlich und alles andere als einfach. Der Primus ragt heraus – in allen Belangen. In der Regel werden die Sektgrundweine eher früh geerntet, denn beim Sekt dreht sich vieles um Frische und Säure. In diesem Fall geht es um Ausdruck, Kraft und Herkunft, die hier die Hauptrolle spielt. Das bedeutet, dass aus einem Grundwein, der eigentlich ein Riesling Großes Gewächs sein könnte, ein Sekt erzeugt wird. Das macht sonst niemand – wenigstens ist mir niemand bekannt. Tatsächlich war der Premierenjahrgang, der 2007er, ein Erstes Gewächs aus der Lage Hattenheimer Hassel. Damit war der Weg doppelt steinig, denn vor der Versektung stand die Anerkennung der Klassifikation.

Das Ergebnis ist genial, anders kann man es nicht sagen. Schon wieder drängt sich dieser omnipräsente Vergleich auf – Stichwort Champagner. Besonders deutlich wird das bei dem 2011er. Der Sekt hat eine feste Struktur, ist durchaus hefig, mit einem ultrafeinen Mousseux ausgestattet. Er ist angenehm phenolisch und hat einen Anklang von Waldmeister, Pfirsich und Kräutern. Er ist präzise wie das Laserschwert von Luke Skywalker, und seine Finesse steht weit vor seiner Kraft. Ein kleines Meisterwerk (93 Punkte).

Im Grunde genommen ist Mark Bart längst aus dem Talentstadium heraus. Er ist auf dem Weg, ein ganz Großer zu werden, und es macht Spaß, das zu beobachten.

Wie überhaupt das Beobachten der deutschen Winzersekt-Welt viel Spaß macht. Hin und wieder bin ich auch schwer beeindruckt und staune, was da so in der einen oder anderen Flasche ist. Deutscher Winzersekt ist, nicht zuletzt dank der hier aufgezählten Protagonisten, absolut wettbewerbsfähig.

 

Alle Fotos stammen vom Wein- und Sektgut Barth

Dirk Würtz Verfasst von:

4 Comments

  1. 26. November 2016
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    Durst!!! Wunderherrliche Beschreibung die Lust auf’s Kennenlernen macht . Wo kriege ich jetzt ein Probierpaket her ??

  2. 9. Februar 2017
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    Woran erkenne ich das der Sekt den ich kaufe BIO ist ?

    • 7. August 2017
      Reply

      Am Etikett. Da ist das EU Logo drauf und eine Öko Kontrollnummer

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