Botschaften von der Basis – Enderle & Moll

Nichts ist beständiger als der Wandel. Natürlich ist diese Weisheit leicht abgedroschen, aber sie ist eben auch wahr. Auch, wenn es um Wein geht. Mehrere tausend Jahre Tradition im Weinbau belegen das eindrücklich.

Wein war und ist nicht einfach nur ein Getränk. Obwohl er früher in gewissen Gegenden das Getränk schlechthin war. Was nicht weiter verwunderlich ist, denn die Wasserqualität ließ über Jahrhunderte zu wünschen übrig. Wein war somit das reinste aller Getränke, und wer Wein panschte, wurde schwer bestraft. Im härtesten Fall auch gern mal mit dem Tod. Das erklärt einiges, was auch heute noch den Umgang mit diesem göttlichsten aller Getränke angeht. Für kaum etwas hat der Genießer weniger Verständnis, als für nicht reinen Wein. Um tatsächliche Qualität geht es hingegen erst seit vergleichsweise kurzer Zeit – angesichts der rund siebentausend Jahre, in denen Wein getrunken wird. Die große Kehrtwende kam, zumindest in Deutschland, mit dem Einzug modernster Technik. Edelstahltanks, Reinzuchthefen, Enzyme und modernste Filteranlagen – um nur einiges zu nennen. Bestens ausgebildete Winzer und Önologen begannen, glasklare, frische, fruchtige und vor allem stabile Weine zu produzieren. Modernste Agrotechnik im Weinberg erleichterte vieles; heute ist ein Weingut ein in der Regel hoch technisiertes Unternehmen. Daran gibt es im Grunde nichts auszusetzen, aber es geht eben auch anders. Die Rede ist vom sogenannten Naturwein.

Genau genommen ist der Begriff „Naturwein“ falsch, geradezu irreführend. Wein ist niemals ein Naturprodukt. Er ist ein von Menschen gemachtes Erzeugnis, das in einer Monokultur gehegt und gepflegt wird. Als „Naturwein“ verstand man irgendwann einmal hier in Deutschland den nicht angereicherten Wein, also das, was wir heutzutage Prädikatswein nennen. Sprechen wir aktuell im Jahr 2016 über Naturwein, meinen wir etwas komplett anderes.

„Anders“ bedeutet in diesem Kontext beinahe immer reduziert. Also Wein, der auf eine sehr reduzierte Art und Weise hergestellt wird. Frei von Eingriffen jeglicher Art wie Reinzuchthefen, Enzyme und all dem, was dem Wein zur Qualität verhalf. Am Ende gern auch frei von Schwefel. Und öko, versteht sich. Keine Herbizide, keine Pestizide und auch keine Insektizide. So oder so ähnlich geht heutzutage Naturwein. Alles also wie früher. Ganz früher. Und das ist angesagt. Manche sprechen gar von einem Hype. Das ist natürlich Unsinn und wohl einzig der selektiven Wahrnehmung dieses Themas in den sozialen Netzwerken geschuldet.

Überhaupt spaltet das Thema. Die einen (die Minderheit) findet Naturwein großartig. Die anderen (die Mehrheit) halten das Ganze für eine Art Anschlag. Für einen gravierenden zeitgeistigen Fehler, der den Wein um Jahrhunderte zurückwirft. Wie immer liegt die Wahrheit in der Mitte. Gut „gemachter“ Naturwein ist eine Offenbarung, schlechter ist einfach nur schlecht. Diejenigen, die großartige Weine dieser Art erzeugen, machen so oder so kaum eine Welle darum. Einer dieser Vertreter ist das Weingut Enderle & Moll.

10322824_1411754075765140_6010740544610293532_nSven Enderle sieht nicht aus, wie man sich einen typischen Winzer vorstellt. Sein Bart ist lang, sehr lang, und seine ganze Erscheinung erinnert mehr an eine Figur aus Asterix und Obelix. Nicht umsonst ist sein Profilname auf Facebook auch „Pinot Enderlix“. Doch der Mann hat viele Talente und Interessen. Klettern, Musik, Kultur überhaupt.

Gegründet wurde das Weingut 2007 von Sven Enderle und Florian Moll, beides gelernte Winzer, im südbadischen Münchweier; es liegt nördlich von Freiburg, in einer Gegend also, wo vor allem Pinot Noir wächst. Beide hatten sich bereits mit dem „Biodynamie-Virus“ infiziert, und damit war der Weg vorgezeichnet. Heute bewirtschaften sie knapp zweieinhalb Hektar, komplett von Hand. Es gibt keinerlei Maschinen, keine Traktoren, nichts. Gespritzt wird ökologisch. Reduzierter geht es kaum. Das Ergebnis sind erstklassige und durch und durch individuelle Weine, die eine wachsende Fangemeinde finden.
Wie die Arbeit im Weinberg ist auch die Weinbereitung sehr reduziert. „Weinwerdung“ ist der bessere Begriff. Es wird im Grunde eigentlich nichts gemacht. Keine Filtration, kein Pumpen und auch keine Schönungen. Manchmal wird dezent geschwefelt. Das hängt vom Jahrgang ab und eben nicht von einer Doktrin. Was die beiden machen, ist eine Art „intelligenter Naturwein“. Alles sehr reflektiert und einzig der Qualität geschuldet. Die ist allerdings mehr als erwähnenswert.

EnderleWer den 2014er Weiß & Grau zum ersten Mal in der Hand hält, bekommt unter Umständen einen Kulturschock. Zumindest irritiert dürfte er sein. Der Wein ist trüb. Und zwar richtig. Auf dem Boden finden sich leichte Schleier und Sedimente, und damit man das alles auch gut sehen kann, ist der Wein in einer weißen Burgunderflasche. Gewagt, würden die einen sagen. Überzeugend, nenne ich es. Die Weiß- und Grauburgundertrauben wachsen auf Lehm-Löß, stehen mehrere Tage auf der Maische, werden mit einer alten Holzpresse gepresst und ohne Vorklärung im alten Holzfass vergoren. Nach zehn Monaten auf der Vollhefe kommt der Wein in die Flasche. Fertig. Er duftet nach Steinobst, einem Hauch Brausebonbons, etwas Filz und einem Tick Himbeeren. Einfach ausgedrückt: sehr vielschichtig. Der Wein ist frisch und hat eine sehr lebendige Säure. Schlank, mit einem Hauch von Pampelmuse und einer wunderbaren Balance. Für etwas weniger als neun Euro ist dieser Wein ein echtes Statement (85 Punkte).

Pinot Noir ist die eigentliche Domäne der kleinen Weingararge. Dafür sind die beiden bekannt. Wer hier moderne, schokoladige und blickdichte Pinots erwartet, wird enttäuscht. Nichts ist hier so, wie die moderne Weinwelt es allem Anschein nach gern hat. Das geht schon bei der Farbe los. Die ist beim 2014er Buntsandstein hell. Richtig hell. So wie man es kannte, bevor der Überextrahierungswahn um sich griff. Farblich erinnert das mehr an einen Portugieser als an einen Pinot. Der Wein ist nicht ganz klar, was wohl auf die nicht praktizierte Filtration zurückzuführen ist. Ein wenig Dörrobst kriecht aus dem Glas, überreife Pflaumen, etwas Ledriges mit einem kleinen Hauch von Filz, und mit der Zeit an der Luft kommt ein feines Minztönchen. Der Duft lässt mich nicht los, und der Wein wird von Moment zu Moment vielschichtiger in der Nase. Das größte Kompliment, das man einem Wein machen kann, ist, dass man nur an ihm riechen will. So ist das hier. Im Mund zeigt sich das, was die Farbe bereits angekündigt hat. Das ist kein dickes marmeladiges Etwas, das ist ein eher feiner und zarter Vertreter. Die Säure ist prägnant und trägt den Wein. Die Gerbstoffe sind harmonisch, wenngleich der Trinkfluss sich noch nicht einstellen will. Muss auch nicht sein, der Wein ist jung. Die Reben sind mehr als sechzig Jahre alt. Das merkt man, der Extrakt ist förmlich spürbar. Das ist kein Wein für den ersten Blick. Auch nicht für den zweiten. Die durchziehende Salzigkeit wirkt noch spröde. Aber er ist gut. Sehr gut sogar (88 Punkte).

Auch der 2014er Muschelkalk hat diese helle Farbe. Ein ganz zartes und helles Ziegelrot. Hier springt direkt die Minze aus dem Glas, etwas grüner Tee, und wer hier nach der klassischen Kirschfrucht sucht, wird dies vergeblich tun. Dieser außergewöhnliche Duft hat mit klassischem Pinot fast gar nichts mehr zu tun. „Klassisch“ bedeutet in dem Fall das, was wir in den letzten Jahrzehnten als klassisch definiert haben. Das hier ist eine neue Definition. Auch hier ist die Säure das entscheidende Gerüst des Weins. Dazu kommt eine gewisse Saftigkeit, die einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Ganz sicher ist auch dieser Wein erst am Anfang seiner Entwicklung, und ganz sicher ist er so weit vom Allerwelts-Pinot entfernt, wie es weiter nicht sein könnte (89 Punkte).

Was bleibt zu sagen? Enderle & Moll gehören ohne Zweifel zu den aktuell spannendsten Weingütern des Landes. Der andere Weg, den sie gehen, bringt völlig andere Weine hervor. Spannend, packend, aber auch fordernd. In jedem Fall sind sie ein gelungener und sehr empfehlenswerter Einstieg in diese andere Weinwelt.

 

Das Foto von Sven Enderle ist von Rachel Wirth

Dirk Würtz Verfasst von:

2 Comments

  1. Ich schätze meinungsstarke Perönlichkeiten. Aber seien wir doch ehrlich: Das sind Freakweine ohne wirtschaftliche Bedeutung… Ob sie innovativ sind, wage ich zu bezeifeln. Richtig ist: der Weinstil ändert sich alle paar Generationen. Die jetzige „Rolle rückwärts“ (weg von der Fruchtigkeit, die aus dem gekühlten Edelstahl und von den Gärhefen stammt) ist die Hinwendung zum Wein nicht einmal unserer Ururgroßeltern, sondern zum Wein der Ur- und Frühgeschichte. Das sind Nischenproduktel (außer in Georgien, da kann man sie häufig finden, z.T. sind sie ungenießbar – ich war dort!).

    • 2. August 2016
      Reply

      Natürlich sind das Nischenprodukte und sie werden das auch bleiben, das ist doch klar. Für diejenigen die sie produzieren, haben sie selbstverständlich auch wirtschaftliche Bedeutung. Am Ende ist es einfach nur eine Bereicherung – zumindest für mich

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