Wenn es aktuell irgendetwas gibt, das so gar nicht angesagt ist, dann ist es das Elsass. Kaum einer hier in Deutschland beschäftigt sich noch ernsthaft in größerem Stil mit den Weinen dieser Region. Schade eigentlich, aber irgendwie auch logisch. Remy Gresser, Winzer in Andlau und ehemaliger Weinbaupräsident hat eine Ahnung, warum das so sein könnte…
An was denkt man, wenn man an elsässischen Wein denkt? Hat man es mit älteren Semestern zu tun, kommt sofort wie aus der Pistole geschossen der Begriff „Edelzwicker“. Der Edelzwicker war mal der Exportschlager dieser Region. Wer in den 70ern und 80ern hier in Deutschland einen trockenen Weißwein wollte, griff zum Edelzwicker. Damals. Heute spielt dieser Wein hier bei uns keine Rolle mehr. Er findet quasi gar nicht mehr statt. Trockenen Wein produzieren wir selbst und die Qualität des Edelzwickers ließ irgendwann gewaltig zu wünschen übrig. Der weltweite Trend zum Pinot Grigio gab dem Edelzwicker dann den finalen Rest.
Das Elsass ist natürlich auch bekannt für seine besonders dicken und barocken Weine. Nicht selten haben sie 14,5 Prozent Alkohol, was dem Wein so oder so schon eine gewisse Süße mitgibt. Dazu haben sie dann oft auch noch ein gehöriges Maß an Restzucker. Gerade der Pinot Gris macht es einem da nicht leicht. Da fehlt dann gerne auch einmal die Säure, um das alles irgendwie in eine Balance zu bringen. Und als wäre das nicht noch genug, hatten und haben die Weine dann obendrauf noch eine gewaltige Phenolik, die alles ein wenig bitter und gerbstoffig überzieht. Wenn dann noch ein Etikett dazu kommt, anhand dessen man nicht ablesen kann, was einen erwartet ist der Ofen aus. Schwieriger geht es kaum, und man fragt sich, warum das so ist. Warum wird der Konsument verunsichert? Die Antworten darauf sind nicht leicht zu finden. Es gibt eigentlich keine. Aber es gibt Meinungen.
Rémy Gresser war zweimal Weinbaupräsident im Elsass und hat eine Meinung. Selten ist mir ein Winzer und Weinbaufunktionär untergekommen, der so meinungsstark war wie Rémy. „Probleme im Weinberg löst man nicht mit Marketing“, sagt er. „Man kann den Leuten nicht erzählen, man tut dies, macht aber dann das! Es ist keine Schande einfache Weine zu trinken. Ich gehe nicht zum Stammtisch um Grand Crus zu trinken.“ Damit bringt er eines der wesentlichen Probleme der Region auf den Punkt. Wenn die Qualität der Basisweine nicht stimmt, nützt alles Geplänkel drumherum nichts. Das Elsass ist bekannt für seine Grand Crus – Basisweine hatte da kaum einer auf der Agenda. Außer für den Edelzwicker. Die Nachfrage war groß und so gab es auf einmal 4.000 Hektar mehr Rebfläche in der Ebene Richtung Rhein. Wo früher Kartoffeln wuchsen, wuchs fortan Wein. Erst Sylvaner in mäßiger Qualität, weil die Nachfrage nach dieser Rebsorte groß war. Und als alle Welt nach Pinot Grigio verlangte, rissen die Winzer den Sylvaner heraus und pflanzten den heimischen Pinot Gris. Was das bedeutet, bringt Gresser mit einem Satz auf den Punkt: „War der Sylvaner da nichts, wird der Pinot Gris da auch nichts werden.“ Er hat recht.
Überhaupt spannt Gresser den großen Bogen. Den ganz großen. Angefangen von den Problemen, die die Pariser Weinhändler Anfang der 80er den Elsässern machten, über die fehlende exakte Abgrenzung echter „Grand Crus“, der Tatsache, dass immer mehr Investoren in den Weinbau drängen, wie wichtig Freiheit und Ehrlichkeit ist bis hin zu dem Punkt, an dem er sagt: „fast alle französischen Bauern sind bankrott.“ Dabei blitzen seine Augen und seine ehedem schon enorme Erscheinung wirkt noch stattlicher. Gresser ist ein Typ – daran besteht kein Zweifel! Er ist kein Freund von Zwischentönen. „Ich glaube, was ich sehe!“, sagt er. Man könnte es als sein Credo bezeichnen.
Gresser ist Biowinzer – wie die Hälfte aller Winzer in Andlau und wie viele andere im Elsass. Biodynamiker genaugenommen. Als er im Weinberg mit Blick auf die Kirche von Andlau anfängt, vom Pendeln zu sprechen, passt das im ersten Moment irgendwie so gar nicht zu dem, was er vorher gesagt hat. Pendeln? Diese gallische Erscheinung spricht ernsthaft vom Pendeln? Hört man genau zu, wird das Ganze aber schnell wieder rund.
Er hatte ein Fass im Keller, in dem wollte der Wein nie richtig gären. Als der Hof renoviert wurde, hat er einen mit einem Pendel kommen lassen. Wasseradern suchen. Er hat den Platz, an dem das Fass stand ausgependelt. Die Stelle war nicht gut. Gresser hat das Fass an einen anderen Platz im Keller gestellt. Seitdem gibt es kein Problem mehr mit diesem Fass. Ein Fest für jeden Esoteriker – für alle anderen bestenfalls ein Grund zum Stirnrunzeln. Seitdem mir unser Ortslandwirt hier in Hattenheim zwei Kupferdrähte in die Hand drückte und mich damit erfolgreich nach Wasser suchen ließ, kann ich zumindest nachvollziehen, was Rémy meint. Rémy Gresser spricht in diesem Kontext von Energien. Um zu zeigen, was er meint, schleift er mich in die Klosterkirche in Andlau. Vor dem Altar erklärt er, warum es falsch ist, dass der Pfarrer jetzt weiter vorne steht. Es ist ein energetisch wertloser Platz. Er erreicht so niemanden, alles verpufft. Meint jedenfalls Rémy. Die Kirche steht an einem Platz, dem schon die Heiden große Bedeutung zuschrieben. Angeblich kamen früher Frauen dort hin, um schneller fruchtbarer zu werden. Muss man natürlich alles nicht glauben – kann man aber. Jeder wie er mag…
Gresser spricht viel über Identität. Das Elsass sucht seine, meint er. Seit vielen Jahren schon. Früher war die „Weinidentität“ einmal der bereits erwähnte Edelzwicker. Und heute? „Riesling, Sylvaner und Muscat. Das ist unsere Identität“, sagt er, „und wir haben fantastische Lagen, ein einzigartiges Terroir. Das müssen wir rausarbeiten und schützen.“ Auch da hat er wieder recht. Die Sache mit der Identität ist überhaupt so ein latentes Thema. Der Elsässer war immer irgendwie zwischendrin, eine Art Anhängsel mit dem spekuliert wurde und dessen Verlust keinen wirklich schmerzte. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum man sich in Sachen Identität so schwer tut.
Die Sache mit dem Terroir ist ähnlich, wie sonst auch in der Welt. Wer es kennt, erkennt es. Wer es nicht kennt, könnte es sich erschließen – was natürlich eher für Fortgeschrittene ist. Wenn überhaupt. Gressers Weine in Andlau wachsen auf Bundsandstein, Kalk, Muschelkalk und Schiefer. Die Unterschiede sind deutlich schmeckbar, glaube ich wenigstens. Der 2005 Kastelberg Riesling ist irgendwie typisch für einen Schiefer-Riesling. Wenigstens bilde ich mir das ein. Er springt förmlich aus dem Glas, hat einen enormen Zug und kann diesen Ton nicht leugnen, der anderswo als mineralisch bezeichnet werden würde. Mir geht dieser Begriff nur noch schwer über die Lippen. Ich weiß leider noch keinen besseren. Die enorme Tiefe, die dieser Wein hat, macht ihn zu einem Großen. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem 2012 Moenchberg Riesling. Der steht auf Muschelkalk. Es riecht und schmeckt logisch. Die Säure wirkt gepuffert – typisch eben. Etwas rote Brause ist zu riechen, eine frisch geöffnete Auster und das Ganze ist irgendwie sehr griffig. Und lang. Ziemlich lang. Die typische Elsass Phenolik ist da, aber dezent. Ein toller Wein.
Gresser ist ganz sicher kein Vertreter des „neuen Elsass“. Ich weiß nicht einmal genau, ob es dieses „neue Elsass“ überhaupt gibt. Ich habe das Gefühl, dass es sich gerade ganz zart entwickelt. Gresser ist ein wichtiger Vertreter dessen, was anderswo gesucht wird. Er steht für die Identität dieser Region. Er ist Herkunft pur. Dabei sind seine großen Weine nicht fett und plump und barock und die Basisweine sind das, was man „süffig“ nennt. Trinkfluss und typisch im besten Sinne des Wortes eben.
Über das „neue Elsass“, das mich umgehauen hat wie kaum etwas in der letzten Zeit, berichte ich im nächsten Beitrag. Ein junger, unglaublich sympathischer und wahnsinnig kenntnisreicher Winzer. Einer der mir Weine eingeschenkt hat, wie ich sie noch nie im Elsass probieren durfte …
Die Aussage: „Ich glaube was ich sehe!“, ist für einen Biodynamiker eher untypisch!
Stimmt!