Vieux Château Certan

Pomerol! Das Gebiet, das heute quasi sinnbildlich für große Weine steht, musste erst einmal entdeckt werden. Zumindest das, was es neben dem legendären Château Pétrus sonst noch so gibt. 

Das Pomerol, man glaubt es kaum, hat in den früheren Weinpublikationen kaum stattgefunden. Das Médoc hat alles dominiert. Selbst in den ersten Weinzeitschriften hierzulande – der ein oder andere erinnert sich vielleicht noch an „Alles über Wein“ – kam das Pomerol kaum vor. Pétrus hat das geändert. Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts avancierte dieses Weingut zu einem der angesagtesten Weingüter der Welt. Und wie das eben so ist, wenn so etwas passiert, macht „man“ – also die Weinwelt – sich rasch auf die Suche nach anderen „hübschen Töchtern“: Insbesondere dann, wenn die eigentlich Auserwählte annähernd unbezahlbar zu werden scheint. Das passierte so um die Zeit als 1947, 1945 und 1961 Pétrus sozusagen zu Modeweinen der „besseren Gesellschaft“ wurden. Auf einmal war klar, dass Pomerol mehr kann, als „nur“ Pétrus.

Eigentlich mag ich solche Vergleiche nicht, aber irgendwie ist das Pomerol das Burgund des Bordeaux. Insbesondere die Weine, die auf dem Plateau des Pomerol wachsen, sind so sehr burgundisch, dass der Vergleich dann doch irgendwie in Ordnung ist. Der Kies und der eisenhaltige Lehm geben den Weinen eine ganz besondere Eleganz. Und, und das ist das ganz entscheidende, die Weine vom Plateau haben eine ganz andere Säure, sie ist prägnanter, deutlicher spürbar und gibt den Weinen so viel mehr Frische mit. Petrus wächst da. L´Eglise Clinet und eben auch Vieux Château Certan. Ein Weingut, das nach wie vor in Familienbesitz ist. Auch wenn der Druck wächst, es zu verkaufen, wie mir Jan Thienpont, Spross der Besitzerfamilie, während unserer Probe sagte. Weingüter wie Vieux Château Certan sind begehrt. Konzerne, Fonds und reiche Unternehmer haben so ein berühmtes Château gerne in ihrem Portfolio. Und nach den reichen Amerikanern und Russen schmücken sich nicht zuletzt auch einige Chinesen gerne mit großen Weinnamen. Der Verkauf eines solchen Weinguts ist ein Multimillionen-Deal. Da könnte man schon einmal schwach werden. „Die ganze Familie arbeitet mit“, erklärt Jan, „insofern gibt es keinerlei Veranlassung zu verkaufen.“ Ich gebe unumwunden zu, mir gefällt das! Seit 1924 gehört das Weingut seiner Familie, ebenso wie übrigens auch das weltberühmte „Le Pin“.

Gefallen tun mir auch die Weine, wobei „gefallen“ eher eine Untertreibung ist. Es ist schlicht beeindruckend, mit welcher Konsistenz hier Jahr für Jahr großartige Weine gefüllt werden. Nicht nur in Jahrgängen, von denen man es erwartet. Wie so oft war hier die Blindprobe von 29 Jahrgängen eine Art Erweckungserlebnis. Hätte diese Probe offen stattgefunden, ich bin mir sicher, ich hätte mich in meinen Wertungen anders verhalten. Und da beinahe alle Weine extrem spannend und gut waren, werde ich sie auch alle hier beschreiben UND bewerten. Leider gab es einige Beeinträchtigungen durch den Korken.

 

FLIGHT 1

2007 Vieux Château Certan (95+)
Extrem frisch mit Anklängen von Karamel und Vanille. Sehr dicht, ewig lang und mundwässernd und mit einer monströs feinen Säure ausgestattet. Riesen Potenzial.

1999 Vieux Château Certan (94)
Wirkt sehr konzentriert, fast wie Pflaumenkonfitüre und hat spürbar Alkohol. Extrem dicht, wirkt aber durch die feine Säure eleganter. Hat ein kleines Bitterle und eine rauchige Note

1996 Vieux Château Certan (91+)
Viel Kaffee, Lakritz und etwas Zedernholz. Wirkt leicht und spielerisch und entwickelt mit der Zeit im Glas Nuancen von Pfeffer und Liebstöckel

1995 Vieux Château Certan
Kork

1988 Vieux Château Certan (97)
Extrem viel Paprika – eine Art Paprikaexplosion. Dazu etwas Leder und nasser Sand. Ein gereifter und dichter und unendlich eleganter Gänsehautwein, der noch langen nicht am Ende seiner Entwicklung ist. In Sachen Eleganz kaum zu überbieten. Die Säure steht wie ein in Stein gemeißeltes Monument. Der ganze Wein packt einen und lässt nicht mehr los. Groß!

1985 Vieux Château Certan (91)
Wirkt extrem klassisch und ist sofort auch irgendwie erkennbar. Kaffee, Paprika und auch wieder Karamel. Wird mit der Zeit leicht bitter – was aber nicht stört. Entwickelt sich im Glas in Richtung Eukalyptus und Tabak. Macht viel Freude jetzt zu trinken.

1983 Vieux Château Certan
Typisches Beispiel für einen Korkschleicher. Leider.

 

FLIGHT 2

2013 Vieux Château Certan (94+)
Wirkt im ersten Moment leicht gekocht. Im Glas entwickelt sich der Wein nach Minuten ungemein. Er wird rauchig und riecht leicht nach Lippenstift. Das Ganze ist schon erstaunlich trinkreif – auf hohem Niveau

2002 Vieux Château Certan
Kork

1994 Vieux Château Certan (95)
Extrem viel grüne Paprika und ein Geruch von gemahlenen Kaffeebohnen. Allerfeinste Tannine, tolle Säure und in der ganzen Anmutung eher burgundisch wirkend. Ganz fein und elegant und mit viel Potenzial ausgestattet.

1979 Vieux Château Certan (97)
Meine persönliche Überraschung in der Probe! Rauchig, gereift, etwas Paprika und Zedernholz. Eine straffe und präzise Säure, beinahe schon salzig (mineralisch) wirkend. Fest in der Struktur und mit der Zeit Noten von Kirsche und Eukalyptus entwickelnd. Ein fantastischer Wein, den ich nie und nimmer in diesen Jahrgang gesteckt hätte. Großartig!

1976 Vieux Château Certan (87)
Riecht nach Staub und nassem Holz und wirkt etwas gedeckt (Kork?). Eher kurz.

1970 Vieux Château Certan (92)
Riecht nach kaltem Kamin und Paprika und nassem Holz. Die Säure ist beinahe schon dominant. Der Wein wirkt noch völlig unterentwickelt und taufrisch.

1967 Vieux Château Certan (90)
Viel Eukalyptus, Minze und Sauerkirsche. Ganz leichtes Bitterle. Sehr fest in der Struktur. Null Alterserscheinungen. Blind unmöglich herauszufinden – würde man eher in die 80er stecken.

 

FLIGHT 3

2012 Vieux Château Certan (95)
Extrem jung und dicht. Ein Hauch von Kokos und  Karamel und Löschblatt. Wird dann schnell kirschig. Sehr präsente und allerfeinste Säure. Tolle Länge und enormes Potenzial.

2011 Vieux Château Certan
Noch ein Korkschleicher – leider

2008 Vieux Château Certan (91)
Extrem verschlossener, dichter und schwerer Wein, der kaum etwas zeigt. Nach Minuten im Glas kommt etwas weißer Pfeffer.

2006 Vieux Château Certan (93)
Backpulver, Vanillepulver und etwas Haselnuss. Ganz anders alles – fällt stilistisch völlig aus der Rolle. Die extrem, feine und animierende Säure bringt ihn wieder auf die Bahn. Faszinierender Wein.

2004 Vieux Château Certan (89)
Leichter Stinker (nett), ansonsten sehr dicht und eher zurückhaltend

2000 Vieux Château Certan (88)
Riecht ein wenig nach nassem Holz und wirkt süßlich. Mittlere Länge.

1998 Vieux Château Certan (97)
Viel Pflaume, Paprika, Weihrauch und Wachs. Grandiose Säure, ganz tief und vielschichtig. Ein packender und grandioser Wein!

1982 Vieux Château Certan (96)
Riecht nach Austern, Kaviar und überhaupt irgendwie nach Meer. Und etwas Filz und Spargel. Hat enorm viel Tiefe und Druck und erscheint mir ganz großartig jetzt auf dem Punkt zu sein. Macht großen Trinkspaß, alleine schon wegen der ganz exzellenten Säure.

 

Flight 4

2015 Vieux Château Certan (89)
Etwas buttrig mit Anklängen von Wachs und nasser Erde. Sehr konzentriert und leicht süßlich. Wirkt eher modern.

2014 Vieux Château Certan (94)
Ganz kühler Wein mit grandioser Säure und einer fantastischen, animierenden Art. Beinahe spielerisch. Viel Potenzial.

2010 Vieux Château Certan (93)
Erinnert im Geruch im ersten Moment an Fleischsaft und Pflaumenconfit. Dazu Graphit und Pfeffer. Sehr vielschichtig und packend.

2009 Vieux Château Certan (87)
Ein eher einfacher Vertreter, der etwas „gemüsig“ daherkommt.

2005 Vieux Château Certan (93)
Wirkt mit seinem Zitronengras extrem exotisch. Der Wein zieht mich sofort in seinen Bann. Er ist super elegant und die Säure steht straff und fest!

1990 Vieux Château Certan (98)
Ein Monument. Feuerstein, Paprika und Zündhölzer. Entwickelt sich im Glas zum absoluten Überflieger. Die Säure packt, die Mineralität ist beinahe zu kauen und der Abgang schier unbeschreiblich. Ein Gigant!

1989 Vieux Château Certan (96)
Eukalyptus, Minze und Karamel. Etwas Kirsche. Fest in der Struktur, tief und ziemlich perfekt, gerade auf dem Punkt. Trinkspaß auf allerhöchstem Niveau.

Dirk Würtz Verfasst von:

Ein Kommentar

  1. 15. April 2018
    Reply

    Das sind wirklich gute Weine! Kann man einfach nicht anders sagen.

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