Die Weinwelt ist bunt. Klingt abgedroschen, ist aber so. Leider ist sie ist auch voller Vorurteile. Wie sehr es sich manchmal lohnt, über seinen Schatten zu springen und die eigenen Vorurteile außen vor zu lassen, zeigte mir – wieder einmal – eine ganz besondere Probe.
Es geht um Champagner. Ehrlich gesagt, um Champagner kann es nicht oft genug gehen. Das Getränk der Könige und der König der Getränke. Champagner kann man, kann ich immer trinken. Egal um welche Uhrzeit. Hauptsache Champagner und Hauptsache gut. Und damit kommen wir zum springenden Punkt. Es gibt kein vergleichbares Produkt auf der Welt, das einen derartigen Ruf genießt. Alle wissen was gemeint ist, alle wollen es, alle kaufen es – egal wie es schmeckt. Manchmal schmeckt Champagner aber gar nicht so besonders. Oder um es deutlich auf den Punkt zu bringen: Manchmal schmeckt er einfach nur langweilig und uniform. Das ist nun der Moment, in dem gerne der obligatorische Hinweis kommt, dass viele deutsche Winzersekte jedem durchschnittlichen Champagner überlegen und vorzuziehen seien. Falsch! Sie sind es nicht. Champagner und Sekt sind zwei verschiedene Produkte, deren Vergleich nicht nur hinkt, er verbietet sich einfach.
Aber zurück zum Champagner …
Uniform ist er oft. Wer abseits des Mainstreams genießen will, möglichst authentisch, weicht längst auf Winzerchampagner aus. Jene Champagner von kleinen und weitestgehend unbekannten Produzenten, die in den Augen der Liebhaber sehr authentische Qualitäten erzeugen. Oder man sucht sich wenigstens in den gewohnten Gefilden der großen Namen die Leuchttürme. Billecart-Salmon, Bollinger oder Pol Roger. Das wären meine Lieblinge, beispielsweise. Das sind sie schon lange.
Um die großen Marken mache ich einen Bogen. Veuve Clicquot, beispielsweise. Ausgerechnet da wurde ich neulich in einer Blindprobe schon eines Besseren belehrt. Der Rosé ist nicht nur ordentlich, der ist klasse! Vom eigenen Vorurteil Lügen gestraft. Klasse, kann mal passieren – auch mir. Doch selbst solche Erlebnisse haben in Sachen Aha-Effekt bei mir nur eine kurze Halbwertszeit. Das ist schon merkwürdig. Einmal manifestiert ist nichts schwieriger, als ein Vorurteil abzulegen.
Kürzlich lud mich Ralf Frenzel zum sonntäglichen Champagner ein. Einladungen von Ralf Frenzel, dem Verleger der „FINE“, sind in der Regel nicht die unangenehmsten – wenngleich sie auch manchmal anders verlaufen, als man sich das so vorstellt. Champagner trinken ist da eigentlich eine sichere Bank. Sein Champagner Geschmack ist exquisit. Es kann eigentlich nichts passieren. Eigentlich. Um so erstaunter war ich, als ich sah, was es gab: Moët!
Auch um Moët habe ich immer einen Bogen gemacht. Wenn ich das Wort „erstaunt“ benutze, drückt das nicht im Ansatz das aus, was ich tatsächlich dachte. Ich dachte sofort an einen Test. „Der will sehen, ob ich erkenne, was tatsächlich in den Flaschen ist“ dachte ich. Aber nein, es war wirklich Moët. Jahrgangs-Champagner vom größten Champagner-Schlachtschiff. LVMH-Kram. Das alles auch noch aus der Magnum. Bis 2003 nennt sich das Ganze Moët Chandon Grande Vintage. Ab 2002 kommt noch der Zusatz „Collection“ dazu. Ganz ehrlich, meine Erwartung war bei Null. Schlimmer noch, eine Art Enttäuschung über einen unter Umständen vergeudeten Sonntag kroch in mir hoch.
Natürlich ist klar, was nun folgte: Alles war anders und alles kam anders. Das Erstaunen meinerseits wich gar einer euphorischen Begeisterung. Ich lag so falsch, so unglaublich falsch. Wieder einmal.
Kein einziger dieser Champagner war enttäuschend oder schlecht oder auch nur irgendwie durchschnittlich. Allesamt hatten Charakter und manche waren geradezu groß. So wie der 2002 Grande Vintage Collection. Erst verschlossen, dann langsam sich öffnend mit einer glasklaren Frische und Präzision, die fast schneidend wirkte. Etwas nussig mit viel Grip, steinig und super salzig. Ja, salzig. Meinetwegen auch mineralisch. Auf jeden Fall ist das ein großer Champagner!
Auf beinahe dem gleichen Niveau war der 2004 Grande Vintage. Neben dem leicht nussigen gab es hier obendrauf noch eine Art Himbeer-Explosion. Ellenlang, wirklich nicht aufhören wollend und getragen von einer allerfeinsten Perlage. Auch groß. Würde ich dem 2002er Punkte geben, wären das 97. Der 2004er bekäme 96.
Richtig aufregend wurde es dann aber bei den älteren Jahrgängen. Der 1988 Grande Vintage Collection war so frisch, dass ich mehrmals auf das Etikett schauen musste um zu glauben, dass es sich tatsächlich um diesen Jahrgang handelte. Fein, ewig lang und mit einer Perlage, die besser nicht sein könnte. Ein Monument – beinahe (97). Der 1990er, der nach Grapefruit und etwas Minze riecht, dabei noch etwas rauchig und hefig ist und ein schier aberwitziges Potenzial hat, war eine kleine Offenbarung (95). 1990 wohlgemerkt. Irre! 1995 war noch total verschlossen und 1998 an Kühle kaum zu überbieten. Dieses Quartett, was auch so als Flight in die Gläser kam, war atemberaubend. In einer Blindprobe hätte es bei allen Teilnehmern geklingelt. Nur nicht an der richtigen Haustür. Ich wette, niemand kommt in einer Blindprobe darauf, was da im Glas ist. Die Superprofis würden wahrscheinlich etwas vermuten. Bei längerem Nachdenken könnte man ja auch etwas vermuten. Was sind das für Champagner. Insbesondere die „Collection“. Dom Perignon, vielleicht? Ist das zu weit hergeholt oder vielleicht nicht doch auf der Hand liegend? Die Vermarktung vom „Dömchen“ ist länger schon ausgegliedert, wer weiß also? Am Ende ist es auch egal, es schmeckt, das Moët-Zeug. Und wie!
Auch die jüngeren Jahrgänge, wie 2009 beispielsweise, haben es in sich. Der hat viel Noisette und Süßholz und riecht im ersten Moment so, wie wenn man eine Tüte Gummibärchen aufmacht. Dann wird es hefig und die Noisette übernimmt das Kommando. Oder 2008, mit seiner enormen Tiefe. Der steht fest und klar im Glas und erinnert einen Moment ein klein wenig an Ahoi Brause. Getrunken werden will der aber noch nicht. Der will weggesperrt werden, die kommenden zehn, fünfzehn Jahre. Mindestens!
Und nun?
Nun nehme ich mir vor, noch nachhaltiger an meiner Einstellung und an meinen Vorurteilen zu arbeiten. Sonst habe ich das Gefühl, ich verpasse etwas. Zum Glück kenn ich Ralf Frenzel. Der passt auf, dass ich nicht zu viel verpasse.
Ich habe dieses Jahr zum Aufstieg meines Fußballvereins in die 1. Liga einen Veuve Clicquot 1985 Vintage Brut aufgemacht. Das war ein Erlebnis. Herrlich mineralisch, sehr nussig und ewig lang. Für mich war das mein Monument in Sachen Mainstream!