Es gibt so einige Châteaus, die gehören schon immer zu meinen Lieblingen. Palmer ist eines davon. Eines meiner absoluten Lieblinge. Und jetzt standen 32(!) Jahrgänge auf dem Tisch…
Es gibt selten Gelegenheiten wie diese. Eigentlich sind sie einzigartig und im Leben eines Weinfreaks, so wie ich einer bin, immer mehr als ein Höhepunkt. Natürlich weiß ich, dass der Begriff „Höhepunkt“ bereits ein Superlativ ist – aber egal. Bei solchen Weinen geht es nicht darum, sachlich und geradezu analytisch zu sezieren, was da im Glas vor einem steht. Es geht darum, die Emotion zu erfassen. Sich mitreißen und einfangen zu lassen vom Zauber eines großen Weins. Es ist genau das, was es für mich ausmacht! Genau das, warum mich Wein so sehr fasziniert. Dieser eine Moment, wenn ich am ganzen Körper Gänsehaut habe und völlig mitgerissen bin. Wenn alles um mich herum kein Rolle spielt, sondern nur das, was da im Glas ist, was mein Kehle entlang rollt und mich komplett einnimmt. Ich muss dann auch immer an die Menschen denken, die solche Weine gemacht haben. Wie das wohl war, 1961, als auf Château Palmer einer stand und sich die Trauben anschaute, die später dann als Wein eine Legende wurden. Ob er wohl geahnt hat, was daraus einmal wird – oder besser gesagt – gemacht wird? Wahrscheinlich nicht. Macht aber auch nichts. Ich bin so oder so fest davon überzeugt, dass große Weine nicht am Reißbrett entstehen. Sie entstehen im Herzen. Ähnlich wie große Musik. Aber das ist eine andere Geschichte. Zurück zum Palmer und den 32 Jahrgängen.
Palmer ist zwar offiziell „nur“ ein Troisième Grand Cru Classé , aber wer sich mit dem Thema beschäftigt, wer viel Bordeaux verkostet, besser noch trinkt, der weiß, dass das eigentlich Quatsch ist. Palmer ist, was die Güte angeht, sicherlich eines der besten Weingüter der Region. Es gab schon zahlreiche Proben, auch Blindproben, in denen Palmer die Konkurrenz auf die Plätze verwies. Deutlich sogar.
Ich persönlich mag die Weine so gerne, weil sie so herrlich präzise und kühl sind. Und nie fett. Sie sind die Ausgeburt an Eleganz und Finesse und haben – wenigstens für mich – mithin das größte Potenzial in Sachen Reife. Was diese Probe im übrigen eindrucksvoll belegte.
Der 1959er stand wie gemeißelt im Glas. Leicht und frisch war er, fast tänzerisch und verspielt und fein in der Säure. Ganz dezent roch er nach roten Paprika und etwas Leder. Blind hätte ich ihn niemals in den Jahrgang verortet. Ich hätte ihn in die 70er gesteckt. Wenigstens. Ähnlich auch der 1962er, einer meinen Favoriten der Probe. Ein Wein mit einer enorm festen Struktur, einer zupackenden und fantastischen Säure und einer nicht enden wollenden Länge. Er wirkt leicht süßlich, angenehm süßlich. Delikat. Beinahe wie ein Dessert. Auf gleicher Augenhöhe war auch der 1976er. Er hatte etwas Gemüsiges, roch ein wenig nach Trüffel und schmeckte etwas malzig. Ein extrem reifer und komplexer Wein – ein großer Wein! So wie der 1961er. Ein Monument. Zu Recht. Die Nase war die komplexeste aller Weine des Abends. Selten habe ich so viele verschiedene Dinge gerochen – besser assoziiert. Erst ein wenig Holz, dann ganz viel Artischocke, Silage, frische Pilze und sogar Feigen. Verrückt! Er kam nicht ganz an den 1959er ran, aber der Unterschied ist marginal. Ein Wimpernschlag, vielleicht. Oder zwei.
Bei den jüngeren Jahrgängen ragten für mich zwei besonders heraus. 2006 mit seiner ausladenden Frucht, seinen komplexen Aromen von Paprika, Zedernholz und Schokolade. Nichts davon ist aufdringlich. Alles perfekt komponiert und an Kühle – auch wenn es anders klingt – kaum zu überbieten. Der Mund wird geradezu geflutet von diesem unendlich delikaten Wein. Noch eine Nuance besser fand ich den 2000er. Minze und der Geruch von Steinen, wenn man sie aneinander reibt. Eine sensationelle Tanninstruktur, eine aberwitzige Dichte und eine unaufdringliche Art der Perfektion, die mir sehr sympathisch ist. Ein Wein, der noch viele Jahrzehnte vor sich hat. Ein großer Wein. Mit dieser Meinung war ich allerdings annähernd alleine … Beim 2009er waren dann aber fast alle wieder beisammen. Anfänglich roch er ein wenig nach Wachs und Paraffin, dann drehte sich das Ganze in Richtung Süßholz und Meer. Ja, ich habe schon öfter erlebt, dass der Geruch eines Weins mich an das Meer erinnert. Besonders an Austern. Manche Weine riechen wie frisch geöffnete Austern. Der 2009er hat ein gigantisches Potenzial – eines der größten in dem Jahrzehnt. Er ist ellenlang und dicht und warm. Ein toller Wein, einer der jedem schmeckt. Null Freakshow!
In den 1990ern hat mich der 1998er am meisten beeindruckt. Wie eigentlich immer. Ich habe diesen Wein schon so oft getrunken und nie, wirklich nie, hat er mich enttäuscht. Je länger der Wein im Glas steht, umso mehr entwickelt sich das Ganze zu einer veritablen „Paprikabombe“. Einmal reinriechen und man ist förmlich gefangen und besessen von diesem Geruch. Vom Geschmack natürlich auch. Hier passt annähernd alles perfekt zusammen. Eine Ausgeburt an Eleganz und nimmer enden wollenden Freuden. Und Potenzial hat dieser Wein auch noch. Der schafft locker noch einmal 20 Jahre. Oder mehr. Extremen Trinkfluss hat der 1990er. Er wirkt reif und beinahe schon etwas „kompottig“. Auch er riecht nach Austern und Paprika. Und grünem Tee. Er ist frisch und mundwässernd und jeder Schluck schreit nach dem nächsten. Toll!
Der eigentliche Höhepunkt des Abends aber war ein anderer. Beinahe schon ein „Skandal“, möchte man meinen Das Ganze war ja eine Blindprobe, es wusste also keiner, was er da im Glas hatte. Ich bin mir sicher, wäre die Probe offen gewesen, der „Skandal“ wäre ausgeblieben. Der 1983er Palmer ist eine Legende. Er gilt als einer der besten Palmers aller Zeiten und als Star des Jahrgangs in der Region. Der Wein ist zweifellos sehr gut. Ein Großer sogar. Aber an dem Abend stahl ihm der 1982er die Schau. Wie gesagt, es war eine Blindprobe. Offen hätte die Gefahr bestanden, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Eine beliebte Sache bei Weinen, nebenbei bemerkt. Emotionen spielen da oft eine große Rolle. 1982er Palmer würde ich mir nie bestellen, wenn es 1983er auch auf einer Karte gäbe. Wahrscheinlich würde das annähernd niemand tun. Warum auch. In der Blindprobe war er der eindeutige Sieger. So eine Opulenz, so viel Extrakt, so eine Kraft und trotzdem in einer perfekten Balance, wie es kaum perfekter gehen könnte. Ein Traumwein, der ganz besonders auch von seiner extrem feinen und präsenten Säure lebt. Ein Skandal eben. Die meisten 1982er warten immer noch darauf, ihren großen Moment zu erleben. Wenn ich mir überlege, wie oft ich 1982er Mouton schon im Glas hatte, ein 100 Parker-Punkte-Wein, und immer dachte: „Och, jo …“. So ging und geht es mir beinahe mit fast allen 1982ern. Der Palmer ist der erste 1982er, der mich tatsächlich einfängt. Und wie!
Damit klar ist, was das für eine monumentale Probe war, tue ich jetzt etwas, dass ich eigentlich nie mache. Ich veröffentliche alle Weine des Abends MIT den Punkten. So, wie sie in den einzelnen Flights auf den Tisch kamen. Nach jedem Flight gab es übrigens auch etwas zu essen. Das Kronenschlösschen in Hattenheim hat ein fantastisches Menü zu den Weinen auf die Teller gezaubert. Dem Anlass entsprechend eben. Ich bin immer wieder erstaunt, warum dieses Haus im vergangenen Jahr den Stern verloren hat. Ich kann es nicht nachvollziehen, die Küchenleistung ist konstant auf einem top Niveau. Aber ich bin ja auch kein Restaurantkritiker … Hier nun die einzelne Weine.
Erster Flight:
2013 – 89, 2007 – 91, 2006 – 96, 2004 – 93, 2003 – 92, 2002 – ohne Wertung, 1998 – 97, 1997 – 90, 1996 – 88, 1995 – 89
Zweiter Flight
1999 – 92, 2001 – 94, 2012 – 89, 2011 – 92 , 2008 – 89, 2000 – 98, 2014 – 91, 2009 – 96, 2005 – 89, 2010 – 89
Dritter Flight
1990 – 95, 1988 – 93, 1985 – 94, 1983 – 95, 1982 – 97, 1980 – 91
Vierter Flight
1976 – 98, 1971 – ohne Wertung, 1964 – ohne Wertung, 1962 – 98, 1961 – 97, 1959 – 96
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