„Meine Dividende ist die Lebensfreude“

Wer fast alles hat, gönnt sich auch gerne mal ein Weingut – sollte man meinen, angesichts der zunehmenden Promidichte unter den Weingutsbesitzern. Für den eingefleischten deutschen Wein-Nerd ist das mindestens der Untergang der Weinkultur, unter Umständen sogar noch schlimmer! 

Investiert ein Promi in ein Weingut, wittert der „Kenner“ Verschwörung, und lange bevor auch nur ein einziger Tropfen probiert wurde, ist das Zeug wenigstens banal und ganz sicher restlos überteuert. So läuft das in der Regel in „Kennerkreisen“. Woher diese Aversion kommt, erschließt sich meistens nicht vollumfänglich. Es kann eigentlich nur mit der „German Angst“ zu tun haben und dem latenten Misstrauen, von irgendjemandem übervorteilt zu werden.

Es ist eigentlich Quatsch. Zumindest dann, wenn jemand ein Weingut kauft, es auch betreibt und damit automatisch einen Haufen Geld investiert. Es gibt einen ebenso laxen, wie richtigen Spruch: Wie macht man aus einem großen Vermögen ein kleines? Man kauft sich ein Weingut! Spitzenwein zu produzieren – oder wenigstens Wein mit hohem qualitativen Anspruch – kostet Geld. Viel Geld. Warum wohl sind so viel Spitzenproduzenten in der Welt, in Deutschland, nicht in Familienbesitz, sondern gehören Investoren, Fonds, Konzernen oder Banken? Die Antwort haben Sie bereits gelesen…

Wolfgang Reitzle ist einer, der sein Geld in ein Weingut investiert. Reitzle ist einer der großen Wirtschaftsbosse des Landes. Er war mal Mister BMW, hat Linde saniert und sitzt in zahlreichen Aufsichtsräten. Ein Wirtschaftspromi sozusagen. Seit 2001 ist er mit Nina Ruge verheiratet. Die war früher beim ZDF und beendete ihr Nachtjournal immer mit den Worten: „Alles wird gut“. Sie erinnern sich. Sie wäre dann in dem Fall der „normale „Promifaktor. Ich könnte an dieser Stelle enden, sämtliche Klischees wären bedient. Es wäre nicht gerecht.

Unterhält man sich mit Wolfgang Reitzle, merkt man schnell, was Sache ist. Da ist ein Ingenieur am Werk. Auch wenn er offen zugibt, vom Weinmachen keine wirkliche Ahnung zu haben, so ist er doch in allem Technischen ganz tief drin. Wer Autos auf Topniveau gebaut hat, weiß auch wie ein gute Pumpe auszusehen hat. So läuft das in Reitzles Weingut Villa Santo Stefano in Lucca in der Toscana (Wo auch sonst?) – er ist der Ingenieur.

loto2001 hat er das völlig marode und heruntergekommene Anwesen gekauft. Mitsamt einem Hektar Sangiovese und 2.000 Olivenbäumen. Die Vorbesitzer waren nicht irgendwer. Es war die Familie Bertolli. Die waren sowas ähnliches wie die Olivenölbarone Italiens. Einer der Sprößlinge hat alles verjuxt und verjubelt – auch das ist nichts Ungewöhnliches – und so kam Reitzle über einen beinahe Zwischenbesitzer an das Anwesen. Er fing an aufzuräumen, zu restaurieren, die Olivenhaine wieder freizulegen und suchte sich Leute, die was vom Weinbau verstanden. Mitterweile hat das Weingut neun Hektar, einen stattlichen Keller und das Olivenöl zählt zu den herausragenden der Gegend.

Das alles geht nur, wenn einer wirklich will. Reitzle will. Der Ehrgeiz und die Freude blitzt aus seinen Augen, wenn er über die Oliven und den Wein spricht. Er liebt italienischen Wein. Sassicaia war seine große Liebe. Seine Tochter heißt Sasscia … Wenn er erzählt, wie er vom eingefleischten Bordeauxtrinker zum Italienliebhaber wurde, ist das authentisch. Durch und durch. „Guado al Tasso“ ist sein heimlicher Favorit. Einer jener Superstars aus der Toscana. Bolgheri. Das, was viele Weintrinkerherzen höher schlagen lässt. Gerade hat sein 2012er Loto das Vorbild in einer Blindprobe geschlagen. Reitzle freut sich. Er ist stolz. Ohne einen Hauch von Überheblichkeit. Das macht ihn sympathisch. Sehr sympathisch.

Der Sangiovese spielt kaum noch ein Rolle bei Reitzle. Die typischen Bordeaux Rebsorten stehen rund um die Villa Santo Stefano. Seine neun Hektar kann er quasi vom Hügel aus sehen. Er hätte auch noch Land in Bolgheri kaufen können. „Gelobtes Land“. Er hat sich bewusst dagegen entschieden. Sein Herz schlägt in Lucca. Auch das ist Teil der Authentizität. Und auch das ist sympathisch. Cabernet Sauvignon haben sie gepflanzt. Dazu Merlot und Petit Verdot. Und noch etwas, was er aber (noch) nicht verraten will.

Die Wein sind exzellent. Sie sind befreit von jeglichem Fett und Lichtjahre von der Überkonzentration entfernt. Das ist nicht nur erfreulich, das ist schlichtweg grandios. Es sind keine Frankenstein Weine, gemacht vom ewig gleichen Star-Önologen irgendwo in der Welt, garniert mit den üblichen Attributen aus den unergründlichen Tiefen des Rezeptbuches. Nicht, dass das schlecht wäre. Gar nicht. Es ist nur eben langweilig und manchmal auch austauschbar. Der Loto aber hat Seele. Die Weine sind enorm elegant, schlank im allerbesten Sinne. „Fein“ ist das Wort, das ich die ganze Zeit gesucht habe.

Auf sein enormes Investment angesprochen, reagiert Reitzle erstaunlich offen: „Ich investiere mein in Deutschland versteuertes Geld“. Um jemals sinnvoll aus der Sache wieder herauszukommen, müsste er eine Million Flaschen produzieren, meint er. 2015 sind es insgesamt 30.000 gewesen. Man muss kein Wirtschaftsweiser sein, um zu realisieren, dass es da bis zum „return of invest“ noch gewaltig fehlt. Darum geht es ihm aber auch nicht. Natürlich kann er sich das leisten – sonst würde er es auch nicht machen. Ihm geht es darum, was er bis jetzt geschaffen hat zu erhalten und es so aufzustellen, dass die nächste Generation weitermachen kann. „Meine Dividende ist die Lebensfreude“, sagt er und lächelt. Nicht aufgesetzt. Echt. Auch das ist sympathisch.

loto2 Die Weine sprechen eine deutliche Sprache. Die Ambition, die Passion ist ihnen anzuschmecken. Der große Einschnitt kam mit dem Jahrgang 2011. Ab da verstanden alle auf dem Weingut, worum es geht. Verstanden den Boden, die Reben und das Konzept. Der 2011er Loto ist ein kaum entwickelter, dichter und verschlossener Wein. Gibt man ihm einige Minuten, lässt er erahnen, was in ihm steckt. Viel Paprika, eine hochfeine Säure und reife Tannine. Das Potenzial erscheint groß und die Kühle, die dieser Wein ausstrahlt, ist überwältigend. Der 2013er ist enorm dicht, tief und konzentriert im besten Sinne. Nichts ist schwer oder dicklich, nichts macht satt – aber alles ist noch viel zu jung. In zehn Jahren vielleicht wieder aufmachen. Oder einfach jedes Jahr eine Flasche, um zu sehen, wie er sich entwickelt. Der 2012er ist durch und durch elegant und – ich wiederhole mich – fein. Ganz fein und enorm saftig. Auch hier steckt viel Potenzial drin. Der Wein kostet aktuell in der Subskription knapp 25 Euro. Der 2011 ist auf dem Markt und für 37,50 Euro zu haben. Das sind echte Schnäppchen. Ich würde darauf wetten wollen, dass sich diese Preise in den kommenden Jahren ganz anders entwickeln werden. Sehr viel Wein für überschaubares Geld. Richtig Trinkfreude macht jetzt der 2008er. Der hat Grip, eine tolle Säure und feinste rote Früchte mit einem Hauch von Leder. Der Inbegriff eines kühlen Weins mit einer schier unbeschreiblichen Eleganz. Kostet 34,50 und ist hier zu haben. Noch …

 

 

Dirk Würtz Verfasst von:

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